er Tau lag noch auf den Blättern als sich Jander, Ole und Erk auf den Weg machten. Sie verließen den Hof des Hersires und hatten genug Proviant für einige Tage dabei. Ihr Ziel waren die saftigen Wiesen, die sich im nördlichen Landesinneren von Reykjajar, entlang des Flusses Ukulfur, befanden. Dort grasten seit Menschengedenken die größten und kräftigsten Rinder aus Reykjajar, die Moschusrinder. Von anderen Sippen ist den Ylfingen zu Ohren gekommen, dass sich dort gegenwärtig wieder Tiere der verschollenen Moschusrinder versammeln und zusammen grasen. Die Ylfinge waren schon seit vielen Jahren nicht mehr in diesem Teil der Insel gewesen und wurden umso neugieriger als sie die Geschichten von einem mächtigen Rind hörten, das enorme Körperausmaße haben solle. Es soll den Namen Jölba haben, was auf Reykjajar soviel wie „Der Langhörnige“ heißt. Jölba scheint nicht nur ungemein stark und kräftig zu sein, sondern auch schlauer als man es von einem Rindvieh erwartet. So scheiterten schon einige Männer beim Versuch Jölba zu erlegen. Die drei Ylfinge ließen sich jedoch nicht einschüchtern und wollten Jölba auflauern, um seine mächtigen Hörner in den Besitz der Sippe zu bringen.
Es vergingen vier Tage bis Jander, Ole und Erk sich den grünen Wiesen näherten. Hinter ihnen lag ein schwerer Marsch durch sumpfige Ufergebiete. Der Boden war tief und matschig, denn es war Winter auf Reykjajar. Jander schickte seinen Húskarl Erk vor, um zu erspähen, ob sich Rinder in ihrer Nähe befinden. Erk erklomm eine Anhöhe und erblickte eine weite Weide. Die Wiese beherbergte mehrere Dutzend Rinder. Eine solche Anhäufung von Fleisch hatte Erk noch nie gesehen. Rasch winkte er die beiden anderen Gefährten herbei. Ratlos starrten die drei über die Weide als Jander seine Stimme erhob: „Dort ist es!“ und sein Finger zeigte auf ein Rind, das nebst des Ufers des Ulkulfurs graste. Jölba ragte aus der Menge, wie eine Grünhaut aus einer Gruppe von Elfen. Seine Schultern überragten Janders Haupt und sein Kreuz war breit und schier unbeugsam. Seine Hörner jedoch waren noch um vielfaches imposanter als sein restlicher Körperbau. Ein solches Horn muss über mehrere Fjorde zu hören sein, dachte sich Erk heimlich und grinste ungewollt. Schnell wurde Erk aus seinem Tagtraum gerissen, da ihn Ole anstieß und bemerkte: „Die Herde setzt sich in Bewegung.“ Zuerst schien sich Jölba zu bewegen, als wüsste er vom Anliegen der Ylfinge. Danach setzte sich auch die restliche Herde in Bewegung. Das Rind war nicht dumm denn es suchte einen sicheren Platz in der Mitte der Gruppe. Jander beschloss den Tieren zu folgen und währenddessen einen Plan zu stricken. Wieder vergingen vier Tage und Jölba schien seine Taktik nicht ändern zu wollen. Die Geduld der drei Nordmänner neigte sich dem Ende zu. Auch der Vorrat an gepökeltem Fleisch, Brot und Met sollte bald aufgebraucht sein. Den Dreien wollte einfach keine Idee keimen. Sie saßen vor ihrem kleinen Feuer, gehüllt in Umhänge. Kein Wort wurde gesprochen und einer schien ratloser als der andere.
Dann geschah das, womit keiner gerechnet hätte:
Zuerst war es ein leises Knistern, welches nach und nach zu einem Knacken und Krachen wurde. Dann stand es da, Jölba, zwischen zwei Bäumen. Die Ylfinge waren unvorbereitet und erschrocken zugleich. Einen Augenblick lang bewegte sich keiner der vier Beteiligten und alle starrten sich gegenseitig an. Jölba schnaubte tief ein und aus. Die Luft, die aus der Nase des Tieres strömte verwandelte sich in der kalten Luft sofort zu kleinen, weißen Wölkchen. Der große Kopf war leicht nach vorne gerichtet und die zwei mächtigen Hörner zielten auf die drei Ylfinge. Noch einen Moment lang geschah nichts. Dann nahm Erk all seinen Mut zusammen und machte einen Satz in Richtung seines Schwertes. Sein Umhang wehte auf, schnell hatte er seine Waffen erreicht, er drehte sich um und musste feststellen, dass sich Jölba bereits auf den Weg zu ihm gemacht hatte. Die Erde schien unter dem wuchtigem Körper Jölbas zu erzittern. Mit guter Reaktion riss Erk sein Schild hoch. Dann ging alles sehr schnell. Dem Koloss hatte Erk nichts als seine blanke Klinge entgegenzusetzen. Er schlug zu und traf das Bein des Tieres. Der Aufprall konnte leicht gehemmt werden, jedoch war er immer noch heftig genug, um Erk einige Meter durch die Luft zu schleudern. Sein Körper prallte leblos auf den erdigen Boden.
Im gleichem Atemzug sprangen Jander und Ole schreiend auf das Rindvieh los. Jander versuchte das Tier mit einem brennendem Stück Holz abzulenken, damit es Erk nicht endgültig den Gar ausmacht. Ole konnte in der Zwischenzeit einen Speer greifen und bohrte diesen in die Seite des Tieres. Jölba äußerte nicht einmal einen Schmerzenschrei und schüttelte den Speer fast wie eine lästige Fliege ab.
Als es dann auf Jander losgehen wollte zeigte Erks Schwertstreich Wirkung und das Bein knickte unter dem großen Gewicht kurz ein. Jander nutzte die gewonnene Zeit und nahm seine Axt auf. Als Erk erwachte, schmerzte sein ganzer Körper. Er öffnete die Augen und sah seinen Hersir todesmutig auf das Rind losrennen. In einer Hand schwang er seine Axt und in der anderen hielt er immer noch das glühende Stück Holz. Dann prallten die beiden aufeinander. Jander wuchtete seine Axt gegen das linke Horn Jölbas, welches am unteren Ende zerbarst. Dann hebelte Jölba Jander mit dem Kopf aus. Jander machte einen kurzen Satz durch die Luft und landete auf dem Boden. Wieder rammte das Tier seinen Kopf auf Jander nieder, welcher schwer atmete und dem Ende Nahe schien, wenn die Götter es nicht verhindern wollten. Ole, seinen Bruder Walhalla nahe sehend, nahm seinen Umhang und schmiss sich auf den Kopf des Rindviehs. Nun war Jölba die Sicht versperrt und es torkelte zur Seite. Ole schaffte es seine kräftigen Arme um den Hals des Rindes zu spannen und drückte kräftig zu. Jölba wehrte sich nach Leibeskräften doch sein Atem ward ihm genommen. Ole schien es wirklich zu schaffen, beide gingen zu Boden und Oles Gesicht verwandelte sich in eine Fratze, er hatte sich wie ein Hund mit seinen Armen am Rind festgebissen und ließ nicht mehr los.
Dann lagen sie beide dar. Ole ward nun fast erdrückt unter dem schweren Körper und Jölba japste nach Luft. Aus dem Bein des Tieres rann immer mehr Blut. Jeder Versuch aufzustehen scheiterte. Ole verließen die Kräfte und er löste seinen kräftigen Griff und versuchte sich nun aus seiner Lage zu befreien, jede Bewegung seitens Jölbas könnte ihn zermahlen, doch das Rind zeigte keine Regung, obwohl es nun wieder Luft gewann und Stärke in den Körper zurückzufahren schien. Grund war der Speer den Jander auf den Hals des Tieres richtete. Jölba bestätigte den Eindruck, dass es ganz und gar nicht dumm war und verstand seine Lage. Ole konnte sich nun endgültig befreien und auch Erk hatte sich aufgerappelt und humpelte zur Szene.
„Töte das Vieh!“ schrie Ole, doch Jander starrte in die schwarzen Augen dieses Tieres und schien etwas zu begreifen. „Wir dürfen es nicht töten“ sagte er. „Jölba hat tapfer gekämpft und sich seinem Gegner gestellt. Das Tier hat mehr Mut als mancher Südländer! Außerdem sollen die Moschusrinder unseren Nachfahren auch weiterhin solch mächtige Hörner bescheren. Jölba soll sich fortpflanzen und noch viele Generationen nach ihm folgen lassen.“
Jander deutete auf das von ihm abgeschlagene Horn und die anderen zwei begriffen, was er sagen wollte. Jander ließ von Jölba ab und auch Ole und Erk entfernten sich von dem Rind. Mühevoll schaffte es Jölba sich aufzurappeln und sah seine siegreichen Gegner an. Dann humpelte es zwischen den zwei Bäumen entlang, in den Wald wo es herkam.
Vor den drei Ylfingen lag ein langer und harter Rückweg, alle waren sie angeschlagen und der Hunger zerrte an ihnen. Doch auch diese Hürde meisterten sie und die Freude der anderen Ylfinge sollte umso größer sein als sie heimkehrten.
Von nun an sollte ein Anhänger am Hals von jedem Gefährten an diese Reise erinnern. Sie wurden gemacht aus dem Horn Jölbas, dem Rind welches nun weiter im Norden der Insel Reykjajar mit seiner Herde grast.