Prolog
Erik stand am Waldesrand und blickte hinüber zu seinem Hof,
der so friedlich und ruhig da lag. Einen Mond war es her, dass Janders Bote ihn
erreicht hatte und mitteilte, dass der Hersir der Ylfinge wieder auf Fahrt
gehen wird und er auch die Männer aus Husavik dabei haben will.
Langsam ging er zurück zum Hof. Vieles ging ihm durch den
Kopf. Wie sollte er sich entscheiden? Noch waren die Björninge am Leben, welche
ihm Freunde und Familie nahmen. Doch die Angriffe hatten aufgehört. Nicht nur
das. Die Späher die nach dem letzten Jul ausgesandt worden, fand auf der
anderen Seite des Flusses ein verlassenes Lager, welches jedoch davor lange
Zeit genutzt wurde. Und Valgard berichtete vor seiner Abreise zurück zum
Bjanderhavn, dass auch er Hinweise für den Weggang der Björninge gefunden habe.
Doch durfte er sich darauf verlassen, dass die Gefahr
gebannt war? Sollte er wieder sein Heim schutzlos zurücklassen? Er schritt
Gedanken versunken weiter und bemerkte die kleine Gestalt mit den feuerroten
Haaren erst als es zu spät war.
Runa rannte in ihren Vater, so wie sie es gerne zu tun
pflegte um ihn zu begrüßen, und stoß dabei mit ihrem Kopf ahnungslos in seine
besten Teile. Erik verschlug es den Atem und leicht angeschlagen hob er seine
Tochter zu sich hinauf. "Du bist spät dran.", ermahnte sie ihn "Das Essen ist
fertig und alle anderen sind von den Feldern bereits zurückgekehrt. Beeil dich
oder Mama schimpft wieder mit dir."
Erik gab ihr einen Kuss und entließ sie wieder, damit sie
voraus laufen konnte. Er blickte seiner Tochter hinterher bis sie im dunklen
Langhaus verschwand. Sollte er das Leben seiner Tochter riskieren? Niemals.
Er betrat das Haus und setzte sich auf seinen Platz am
Feuer. Um ihn rum hatten die anderen schon Platz genommen und bedienten sich
von der dampfenden Suppe und dem warmen Brot. Svala reichte ihm seine Schale
und setzte sich neben ihn. Erik blickte in die Gesichter seiner Gefährten. Sie
alle hatten in den letzten Jahren viel auf sich genommen und viel verloren. Einige
nur Hab und Gut, andere auch Freunde und Familie.
"Dieses Jahr wird ein gutes Jahr", sprach Sven, um das
Schweigen zu beenden. "Das Vieh hat sich erholt und die Felder stehen in voller
Fülle." Svens Bemerkung tat seine Wirkung und auch die anderen Knechte und
Mägde berichteten von ihrem Tagwerk. Erik hörte nur halb hin und ließ seine
Gedanken kreisen. Es war wirklich ein gutes Jahr. Die Lager waren wieder
gefüllt und auch die nächste Ernte sollte gut werden. Doch wichtiger als das,
war der Funke der wieder in den Menschen aufloderte. Die Gewissheit, dass man
die Björnige aufgehalten hatte und es mit ihnen wieder aufnehmen konnte. Die
alten Kämpfer am Fjord hatten ihr Feuer wieder entdeckt und waren bereit ihr
Land zu verteidigen und die jungen hatten ihr erstes Blut vergossen und
fürchteten nicht länger den Kampf. Wahrlich, sollten die Björnige nochmals
angreifen, ihnen würde nichts gelingen.
"Soll ich dich füttern alter Mann?" Erik erwachte aus seinen
Gedanken und schaute zu Isegrimm, der ihm eine Grimasse schnitt. "Denke nicht
zu viel, sonst vergisst du noch dein Essen." Er lachte und wand sich wieder
seinem eigenen Mahl zu. Erik schwieg und schlürfte seine Suppe aus.
Nachdem er fertig war, erhob er sich und trat vor das Haus.
Die Sonne ging unter und hüllte den Hof in ein warmes rotes Licht. Der Wind
trug den Duft des Meeres mit sich und weckte in ihm das Fernweh. Ein zarter Arm
schlang sich um seine Hüfte und weiches Haar legte sich an seine Brust. "Woran
denkst du?" fragte Svala.
"An das vergangene und an das morgige.", antwortete er ruhig.
"Du klingst wie eine alte Vettel." feixte seine Frau. "Das
vergangene ist vergangen und wir haben es überlebt. Und das morgige können wir
nicht kenne, dass wissen nur die Nornen. Also bleibt uns nur das heute."
Erik lächelte über ihre Worte. "Du hast recht. Doch soll ich meinen Morgen
riskieren, durch meine Entscheidungen die ich jetzt treffe?"
"Hast du immer noch Angst vor den Björningen?"
"Ich habe keine Angst vor ihnen, aber ich habe Angst um euch."
"Wieso? Es ist nicht mehr so wie damals. Die Höfe sind befestigt, die Männer
sind ausgebildet und kampfbereit und die Zeit hat uns gezeigt, wer ein Freund
ist und wer nicht."
"Du magst recht haben. Aber solange ein Björning lebt, dürfen wir nicht achtlos
sein. Ich habe Angst um dich und Runa."
Svala gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Aber deswegen darfst du dich hier
nicht einsperren lassen. Die Angst um uns lähmt dich. Du musst wieder hinaus gehen,
sonst wird dich die Angst bezwingen."
"Aber …"
Svala unterbrach ihn "Nichts aber. Glaubst du denn ohne dich, wären wir
schutzlos? Du hast die Männer hier ausgebildet. Und in meinen Adern fließt das
Blut der Ronländer und in meinem Herzen brennt das Feuer der Ylfinge. Wenn du
wiederkehrst, werden deine Tochter und ich dich willkommen heißen.
Erik lächelte und drückte sie an sich. "Nun gut. Wir werden dem Ruf meines
Onkels folgen. Doch Sven und Ulf werden hier bleiben." und mit lauterer Stimme
sprach er weiter. "Isegrimm! Finn! Packt eure Sachen. Es ist Schwertarbeit zu
tun."
"Wurde auch Zeit." antwortete Finn und erhob sich.
"Genau. Das nächste Mal überlässt du das Denken deinem Weib. Die kann das
scheinbar schneller als du." feixte Isegrimm und erhob sich ebenfalls.
Die Halle erbebte hinter ihm, während sich die Menschen
innen zu prosteten und auf die Asen tranken. Erik schaute nach Westen, zur
untergehenden Sonne wo der Hof seines Onkels lag. "In einer Woche werden wir
aufbrechen. Aber nicht mit leeren Händen."
Bericht
Der kalte Wind des Nordens begrüßte die Sjorulfur freudig
und ließ das Großsegel sich aufblähen, um seine Mannschaft zurück in die Heimat
zu tragen. Erik saß auf seiner Ruderbank, in seinem Bart bildeten sich langsam
die Eiskristalle, geschaffen aus Gischt und Wind. Er ließ seinen Blick
schweifen. Die Männer hatten die Ruder eingezogen und nutzen die Kraft des
Windes um sich zu erholen. Am Bug zerteilten Mette, Elja und Lina den
gepökelten Fisch und verteilten Bier an die Männer. Jander saß im Heck, den Blick
streng geradeaus gerichtet und das Ruder fest im Griff. Sveigir streckte seinen
Rücken durch und betrachtete seinen Schwertarm, der neue Narben aufwies. Auch
Isegrimm und Finn gönnten sich eine Pause und tranken vom angebotenen Bier. Haldis
schloss ihr Auge und nutze die Zeit um den nötigen Schlaf nachzuholen. Dann
fiel Eriks Blick auf den verwaisten Platz auf der anderen Seite des Bootes. Auf
Valgards Platz.
Vor 4 Monden waren sie aufgebrochen unter Janders Befehl.
Diesmal nicht mit dem großen Heer nach Nyland um gegen das Untote Gezücht zu
ziehen. Dieses Mal folgten sie dem Ruf des Norrelag, in der Hoffnung im Reich
der Lesathen mehr Ehr und Silber zu erstreiten. Die Lesathen sollten
gottgleiche Wesen sein, die in ganz Midgard die Krieger zum Kampf herbeiriefen
um sich zu prüfen. Der Wettkampf war ihnen egal, doch Heilbjörns Worte vom
Roten Stier hatte ihnen auch Silber versprochen und deswegen zogen sie aus.
Viele Sippen des großen Heeres waren ebenfalls im Norrelag,
doch vermisste man die Freunde aus Hornwall und Ronland. Am ersten Abend wurde Angar Jørnsson von den Skagen als Herjan
gewählt, der versprach die Säckel der Männer zu füllen. Und sie begannen früh
mit ihrem Werk, denn bereits in der ersten Nacht fiel das Norrelag über die
schwachen Lager her, plünderte die Kassen und raubte die Weiber. Und allen
voran waren die Männer der Ylfinge. In den folgenden Tagen gab es viele Kämpfe
und meist waren es die Krieger des Nordens die den Sieg errangen. Im Schildwall
wurde der Tod verteilt und in seinem Zentrum, vom Herjan bestimmt, standen die
Ylfinge.
"Erik! Hier iss etwas." Mette riss Erik aus seinen Erinnerungen und bot ihm den Fisch an.
"Danke."
"Wie geht es deinem Kopf? Lass mich mal nachschauen." Mette betrachte die wulstige Narbe an Eriks Schläfe und die Silberplatte, die nun den Knochen ersetzte.
"Es geht. Der Kopfschmerz ist verschwunden." antwortete Erik und seine Erinnerungen kehrten zurück.
Nicht alles verlief wie geplant und alle Krieger der Ylfinge verdankten ihr Leben nur Mettes
Heilkünsten und der Pflege von Elja und Lina. Doch auch ihre Künste waren
irgendwann nicht mehr ausreichend. Es war eine dunkle Nacht als das Norrelag
zur verwegensten Tat aufbrach. Der größte Feind sollte angegriffen werden, da
man eine Schwachstelle gefunden hatte. Die Krieger brachen geschwind auf und im
Schutze der Dunkelheit begab man sich vor das Tor des Feindes, welches offen
stand. Der Befahl war kurz und deutlich gewesen. Ein Eberkopf sollte gebildet
werden und die Ylfinge sollten die Speerspitze bilden. Keine größere Ehre kann
einem Mann zu Teil werden. Die Schwertkrieger rannten los, hinein in das dunkle
Lager und in den Hinterhalt. Der Feind war gewarnt gewesen und hatte ihnen eine
Falle gestellt. Der Eberkopf brach zwar in die Reihe der Feinde ein, doch
schnell verwandelte sich der Eingang in ein Schlachthaus und viele der
Nordleute wurden niedergemacht. Doch der Feind war ehrbar und entließ die Verwundeten
wieder hinaus, auf das ihre Wunden versorgt werden konnten. Dadurch konnten
viele Leben gerettet werden. Nur leider eines nicht. Valgard war gefallen. Im
Eberkopf fand er sein Ende. Ein ruhmreicherer Tod war nur wenigen vergönnt
gewesen.
Erik schaute wieder zum Bug des Schiffes, wo sie den gefallenen Freund niedergelegt hatten. Nachdem
Jander Valgards Leib ins Lager zurückgetragen hatte, versorgte Erik den Toten.
Er nähte die tiefsten Wunden zu, salbte den Körper und band ihn in feste
Tücher. Nach alter Sitte sollte Valgard in seiner Heimat bestattet werden.
Danach tranken die Ylfinge auf seine Ehre und erzählte sich die vergangenen
Taten des Kriegers.
Die Zeit der Trauer war jedoch nur kurz, denn in der letzten Schlacht sollte viel Schwertarbeit auf
die Krieger warten. In einer riesigen Schlacht bei der sich alle Lager
gegenüber standen, führten die Ylfinge das Norrelag durch einen wütenden Sturm
aus Klingen. Und aus dem Chaos aus Schreien, Waffenlärm und Blut gingen sie als
Sieger hervor. Am letzten Abend wurde die Beute unter den Sippen verteilt und
kurz vor Beginn des neuen Tages besuchte der Herjan Jander, um ihn für die
ruhmreichen Taten zu danken.
Erik berührte wieder die silberne Platte an seinem Kopf und schaute rüber zu seinem gefallenen
Waffenbruder. Eine große schwere Hand legte sich auf seine Schulter.
"Unser Schicksalsfaden ist so fein wie Haar. Leben und Tod sind nah beieinander." sprach Jander und folgte Eriks Blick zum Bug.
"Aye." antwortete dieser.
Von Erik Holgerson